«Was bin ich? Assistenzarzt oder eher ein Controller?»

Arzt/Ärztin steht an fünfter Stelle, wenn Kinder ihre Berufswünsche äussern. Leben retten. Etwas Gutes tun. Vielleicht auch ein gewisses Ansehen haben. Vorstellungen und Perspektiven müssen nicht immer übereinstimmen, insbesondere, wenn sich ein Berufsbild verändert.

Berufe wandeln sich. Auch im Gesundheitswesen. Hier hat sich viel verändert und doch wenig getan, wie das Beispiel des Assistenzarztes zeigt.

Leben retten. Operieren und ein qualitativ guter Chirurg sein. Auch wenn es hektisch wird. Menschen vertrauen Ärzten. Man weiss um ihre Wichtigkeit. Denn sie sind manchmal die letzte Hoffnung, einen Unfall oder eine schwere Krankheit zu überleben. So weit die Theorie. Und in echt?

Im Artikel «Der Regulierungswahn zerstört die Qualität der jungen Chirurgengeneration» auf Medinside.ch (31.1.2024) beschreibt ein junger Assistenzarzt, wie er vorwiegend am Schreibtisch sitzt und sich mit mühseliger Administration herumschlägt. Im Operationssaal steht er hingegen kaum.

Vorstellung und Realität. Es ist nicht das erste Mal, dass die Wirklichkeit ernüchternd aussieht!

Operieren? Ja, gerne!

Gerade mal dreieinhalb Stunden stehen Assistenzärzte im Operationssaal. Doch operiert wird nur eine Stunde, so der zitierte Assistenzarzt. Stattdessen geht es im Beruf um zeitaufwändige und mühselige Dokumentation und Administration.

Dazu kommt, dass der Verband Schweizer Assistenz- und Oberärzte (VSAO) eine 42-Stundenwoche eingeführt hat. Diese Arbeitszeit habe man einzuhalten. Mehr zu arbeiten, wird nicht gerne gesehen. Also badgen sich die Assistenzärzte zeitgerecht aus und operieren anschliessend in Ruhe weiter.

Illegal arbeiten, um Menschenleben zu retten. Wie dankbar wir diesen Assistenzärzten für ihren Mut doch sind!

Diese Zahlen und Arbeitsbedingungen erschrecken auch Laien. Das Korsett Gewinnorientierung und Administration lassen Berufung und Gestaltungsspielraum beinahe ersticken. Diese Krankheit nennt sich «Wollen und nicht dürfen.» Das Wollen zu lähmen, führt letztendlich in eine Persönlichkeitskrise und ist gegen die Natur des Menschen, der mitgestalten will.

Lebenssinn und Berufung wollen ausgelebt werden.

Unter diesen Voraussetzungen landet das Gesundheitspersonal im statt am Bett. Studien zeigen, dass es bei den Chirurgen eine Korrelation gibt zwischen Burn-out-Quote und administrativem Aufwand.

Fazit: Statt Leben retten das Spitalbudget und die KollegInnen belasten.


«Nicht planbar» gehört zum Gesundheitswesen

Um was geht es im Operationssaal? Um was geht es im Gesundheitswesen?

  • Leben retten.
  • Leben wieder gestaltbar machen.
  • Lebensqualität steigern.

Insbesondere Leben retten hat eigene Regeln.

Unser Körper, wenn verletzt oder schwer angeschlagen, orientiert sich nicht an zeitlichen und administrativen Vorgaben.

Unser Körper folgt den Gesetzen der Natur. Oft nicht begreifbar. Achtsamkeit, Erfahrung, Flexibilität und Fachwissen können hier helfen.

Dass Operationen nicht auf die leichte Schulter gehören, liegt auf der Hand. Weniger operieren bedeutet eben auch, weniger Erfahrung haben. Und so leidet die Qualität, die in diesem sensiblen Bereich so wichtig wäre.


Zu viele Regeln und Vorgaben verunsichern

Dass die Arbeitszeit reguliert gehört, macht Sinn. Und dass, wer gerne mehr wissen und arbeiten will, das auch darf, ebenso. Doch jede neue Regel gebiert weitere Regeln. Und zu viele Vorschriften schaffen Unsicherheit und führen zu Entmutigung.

Warum diese übertriebene Regulierung? Sind Mitarbeitende von Gesundheitsbetrieben nicht mündige Menschen, die ihre Grenzen einschätzen können?

Die Geschichte zeigt: Es gibt immer Führungskräfte und Betriebe, die ihre Mitarbeitenden ausnutzen. Das darf nicht sein. Doch wer im Gesundheitswesen arbeiten will, weiss, dass die Arbeitszeiten flexibel sind und dass Unfälle auch zur Unzeit geschehen.


Flexible Regulation = Vertrauen und Verantwortung leben

Wenn von «oben» und von «ausserhalb» bestimmt wird, besteht die Gefahr, dass zu viel und das Falsche geregelt wird. Wenn nur «intern» geregelt wird, klopft die ernst zu nehmende Betriebsblindheit an. Auch wissen wir, dass gewisse Systeme schon in der Schule Kinder aufgrund ihres individuellen Leistungsvermögens bevorzugen oder benachteiligen.

«Oben» und «ausserhalb» dürfen damit rechnen, dass Vertrauen motiviert und Verantwortungsbewusstsein schafft. Missbrauch leider nicht ganz ausgeschlossen. «Intern» ist gefordert, die Individualität von Mitarbeitenden so gut wie möglich zu berücksichtigen und Gleichwertigkeit zu fördern.

Führungskräfte trauen also ihren Mitarbeitenden aus Überzeugung zu, dass sie ihr Bestes geben und gute Leistungen abliefern. Gleichzeitig müssen sich alle Parteien bewusst sein, dass man nicht alles im Griff haben kann.

Das oberste Ziel bei allem soll sein, Menschenleben zu retten.

Wie bei den Kindern, die auch als Teenies noch an ihrem Berufswunsch Arzt/Ärztin festhalten. Wir haben es in der Hand, ihnen eine andere Wirklichkeit zu bieten als die heutige.

22.2.2024, Andreas Räber, GPI®-Coach, Wetzikon