Ärztemangel in der Schweiz und was man dagegen tun kann

Deutsche Ärzte machen fast einen Fünftel des Schweizerischen Gesundheitswesens aus. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn sagt: «Ich hätte sie gerne zurück». Das macht hellhörig. Was kann man gegen den Ärztemangel hierzulande tun?

Die Schweiz hat die Zahl der Studienplätze an den medizinischen Fakultäten in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Trotzdem lässt sich der Ärztemangel nicht wegdiskutieren. Fachpersonal aus anderssprachigen Ländern kann keine langfristige Lösung sein. Eine schleichende Entwicklung, die grosse Gefahren birgt.

Der oberste Schweizer Arzt, FMH-Präsident Jürg Schlup, bezeichnet im Artikel «Ärztemangel oder Ärzteüberfluss?» der NZZ (27.11.18) insgesamt die Versorgung als «adäquat». Doch warnt Schlup vor Knappheiten in der Zukunft wegen vieler anstehender Pensionierungen, der Reduktion von Arbeitspensen und der Zunahme der administrativen Belastung der Ärzte (die heute schon etwa ein Drittel der Arbeitszeit ausmachen könne).

Wie viel Ärzte braucht es in der Schweiz?

Auf vielen Gebieten regeln sich Angebot und Nachfrage von selbst. Das ist im Gesundheitswesen nicht immer möglich. So stellen aussergewöhnliche Ereignisse wie eine Pandemie alle noch so genau ermittelten Daten in Frage.

Patienten haben kaum Sparanreize, weil sie die Kosten einer Behandlung grösstenteils auf Dritte abwälzen können. Laut NZZ-Artikel hat die Ärztedichte einen «klaren Einfluss» auf die Konsultationen und die Kosten pro Versicherten (vom Bundesrat bestellter Expertenbericht 2017). Untersuchungen zeigen einen Zusammenhang zwischen der Dichte an Spezialärzten und den Kosten pro Versicherten. Bei den Hausärzten sind die Befunde unterschiedlich.

SRF.ch berichtet im Beitrag «Hausärztemangel: Die Situation verbessert sich - langsam» (24.9.20) von einer Studie, die regelmässig vom Verband für die politischen Anliegen der Haus- und Kinderärzte in Auftrag gegeben wird. Diese warnt schon länger vor einer drohenden Versorgungslücke bei den Hausärztinnen und Kinderärzten. Laut Studie sind die Schweizer Ärzte im Durchschnitt 55 Jahre alt. Um das aktuelle Niveau zu halten, braucht es in den nächsten 10 Jahren 1000 neue Ärzte. Die gute Nachricht: bei den unter 50-jährigen ist seit zehn Jahren eine Zunahme festzustellen.

Doch die Frage, wie man dem Ärztemangel begegnen kann, lässt sich nicht aufschieben.

Neue Ärzte braucht das Land - doch wie?

Wir leben in Zeiten der Digitalisierung. Mittlerweile werden fast in jedem Beruf Unmengen an Daten gesammelt und zu Statistiken ausgewertet. Menschsein wird in keiner Statistik erfasst. Statistik braucht einen Abgleich mit weichen Faktoren (Kommunikation, Kooperation, Verantwortungsbereitschaft, Interessen, Vertrauen, Konfliktfähigkeit), um aussagekräftiger zu werten.

Ärzte sind Menschen und haben persönliche Bedürfnisse. Rund um die Uhr zu arbeiten, kann und darf nicht das Ziel sein. Es ist menschenunwürdig. Einer der am meisten genannten Wünschen von Unternehmern ist, nicht alleine die Verantwortung für wichtige Entscheide tragen zu müssen.

Die grössten Chancen bei der Gewinnung von Ärztepersonal liegt in der Erhöhung der Attraktivität des Berufes. Dabei geht es längst nicht immer um die Entlöhnung.

Dass die Hausärzteschaft heute weniger lang arbeiten muss als früher, im Durchschnitt sind es 43 Stunden pro Woche, wird laut der Studie des Verbands für politischen Anliegen der Haus- und Kinderärzte positiv bewertet. Zudem können Hausärzte heute Teilzeit arbeiten und sind deutlich zufriedener geworden.

Um neue Ärzte zu gewinnen, braucht es ein umfassendes Denken, das Menschen und ihre Bedürfnisse deutlich mehr berücksichtigt als bisher.

Was nützt eine gute Entlöhnung, wenn man keine Zeit hat, das Geld auch auszugeben? Was nützt Anerkennung im Job und, als Folge der hohen Präsenzzeit, schlecht funktionierende soziale Beziehungen?

Hier ist ein Umdenken angesagt. Es braucht deutliche Signale der Verantwortlichen und der Politik, die neue Arbeits(zeit)modelle zulassen.

Wo man sich gehört fühlt, wo gehandelt wird, steigen auch Vertrauen und Interesse!

Quellen:

11.2.2021, Andreas Räber, GPI®-Coach, Wetzikon