Coaching-Tipp: Ärzte und Pflegepersonal: Grosse Belastung während der Corona-Pandemie

Am Ende eines langen Tages geniessen wir im Normalfall den verdienten Feierabend. Was aber, wenn der lange Tag unberechenbar wird und der so sehr ersehnte entspannte Abend ausfällt? Für Ärzte und Pflegepersonal ist dies manchmal Realität. Und das wird eher noch zunehmen, weil es immer mehr an Fachkräften mangelt. Ein Eindruck von einem Betroffenen.

Die nachfolgenden Informationen wurden dem Interview mit Michael Zürcher, Leiter Human Resources im Kantonsspital Aarau (KSA), aus dem Artikel «Die emotionale Belastung für das Personal ist noch grösser geworden» mit medinside.ch entnommen und gekürzt.

Von einem Tag auf den anderen in den Krisenmodus schalten

Dass der Arbeitsalltag im Gesundheitswesen unberechenbarer ist, kann man sich auch als Aussenstehender gut vorstellen. Doch von einem auf den andern Tag den Spitalbetrieb komplett zu verändern, wie Anfang 2020 im KSA erfolgt, ist happig!

Veränderung kostet viel Kraft.

Viele eingeübte Handlungen müssen in einem solchen Moment bewusst, entgegen unserer Gewohnheiten, neu eingeübt werden - und dies in absoluten Stresssituationen. Das ist der Zustand, wo der Mensch am wenigsten lernfähig ist. Kein Wunder also, wenn Mitarbeiter ans Limit kommen.

Folgen von Covid-19 und der dauerhaft hohen Anforderung

Temporärer Stress ist in der Regel bei den Mitarbeitenden akzeptiert. Dauerstress hingegen führt zu Fluchtverhalten. Was soll man sonst auch tun? Wenn kein Ende der Pandemie in Sicht ist, dafür das Ende der Kräfte drohend nahe?

«Es gibt Kündigungen oder es kommt zu Auszeiten aufgrund der Belastung. Für viele scheint keine berufliche Perspektive mehr da zu sein.»

Dies hat zur Folge, dass die Intensivstationen (KSA) ans Limit geraten und man aufgrund von Personalmangel keine weiteren Betten öffnen kann.

Hohe emotionale Belastung

Es gibt gewisse Jobs, die erst am Ende eines Workflows zum Einsatz kommen. Ein Beispiel ist der Hauswart, der oft noch reinigt, wenn Besucher eine Veranstaltung verlassen haben. Oft geht die Wertschätzung für diese Arbeit vergessen und die erbrachte Leistung wird nicht erkannt. Das Schwierige ist: Als Hauswart entsorgt man Abfall, der von den Besuchern sorglos auf den Boden geworfen wurde.

Wir alle kennen dieses Gefühl, unsere wertvolle Zeit für etwas zu opfern, das nicht sein müsste…

Im Gesundheitswesen ist dies ähnlich.

Rund 95 Prozent der Patienten im KSA sind nicht geimpft. Sie müssen von Pflegepersonal und Ärzten intensiv versorgt werden, damit Leben erhalten werden kann und möglichst kein Long-Covid auftritt. Diese Einlieferungen könnten durch die Impfung reduziert werden.

Die emotionale Belastung für das Pflegepersonal ist deshalb im Vergleich zu den letzten Wellen durch diesen Fakt noch grösser geworden.

Wie kann man emotional belastetes Personal noch motivieren?

«Walk the talk» (Lebe, was du sagst) ist ein Zitat aus Amerika. Um Vertrauen und damit letztendlich auch Motivation aufzubauen, braucht es eine hohe Glaubwürdigkeit. Ängste und Feedbacks von Mitarbeitenden müssen ernst genommen werden. Und Versprochenes gehört innert nützlicher Frist umgesetzt. Zum Beispiel bei den sogenannten Hygienefaktoren:

  • Entschädigung
  • Arbeitsmodelle
  • Ferien oder finanzielle Anerkennung für die erbrachten Zusatzleistungen

Weiter sind familienergänzende Angebote für Mitarbeitende mit Kindern wichtig, was nicht zuletzt ein ausschlaggebender Faktor für die Wahl des Arbeitgebers sein kann. Das KSA hat eine sehr flexible Kinderbetreuung: eine Kita für Kleinkinder ab 3 Monaten und einen hauseigenen Kindergarten sowie ausserschulische Angebote für Kinder bis 12 Jahren. Zudem wird der Wunsch nach Teilzeitarbeit bei den Männern immer grösser.

Aktive Unterstützung bei der Work-Life-Balance wird zu einem wichtigen Faktor, Mitarbeitende zu halten oder neue zu gewinnen.

Fördern von Flexibilisierung und Individualisierung

Fehlende Pflegefachkräfte rekrutieren. Was tun, wenn immer mehr Mitarbeitende fehlen? Leiden, weil es politisch zu keiner schnellen Lösung kommt? Leiden, weil die Impfbereitschaft zu gering ist?

In Zeiten, wo Unmögliches geleistet werden soll, sind neue Möglichkeiten zur Bewältigung einer vierten Coronawelle enorm wichtig. Wer selbst vorausdenkt und handelt, kann einen Ansturm am ehesten bewältigen und Mitarbeitende besser schützen.

Spitäler wie das Kantonsspital Aarau leisten hier einen wichtigen Beitrag, indem Berufe wie Intensivpflege, Anästhesie oder Notfallpflege gefördert werden.

Weiter wird versucht, Fachpersonal zu halten, wenn möglich auch über das Pensionsalter hinaus. Das Ziel ist es, Vakanzen mit eigens ausgebildetem Personal zu besetzen. Mit flexiblen Arbeitszeitmodellen. Der klassische Weg wie die Ausschreibung von Stelleninseraten bleibt ein bewährtes Modell, um neues professionelles Pflegepersonal oder Ärzte zu gewinnen.

Gefahr Burn-out: Betroffene Mitarbeitende werden immer jünger

Es ist im Grunde genommen ein Wettlauf mit der Zeit. Zum einen gilt es neues Personal zu rekrutieren, zum anderen, flexible Arbeitszeitmodelle zu schaffen und gleichzeitig die nächste Covidwelle zu stemmen.

Der Ausfall aufgrund psychischer Belastung ist mittlerweile die Diagnose Nummer 1 beim Personal und hat die körperliche Belastung überholt.

Auch hier handelt das Kantonsspital Aarau präventiv. Es bietet Lösungen an, bevor es zu einem Ausfall kommt. So steht eine Psychologin für die Mitarbeitenden bereit und leistet Präventionsarbeit, damit es zu möglichst wenigen Krankschreibungen kommt.

Prävention ist mindestens so wichtig wie die Begleitung bei einer krankheitsbedingten Abwesenheit.

Die grosse Herausforderung für Mitarbeitende, nicht nur im Gesundheitswesen, ist nicht die Anzahl der Arbeitsstunden, sondern was in welcher Zeit alles gleichzeitig erledigt werden muss. In der Pflege leidet dadurch etwas vom Wichtigsten für Ärzte und Pflegepersonal: genügend Zeit für den einzelnen Patienten.

1.10.2021, Andreas Räber, GPI®-Coach, Wetzikon