Ausbildung zum Arzt, zur Ärztin: Aufhören oder bleiben?

AssistenzärztInnen haben es schwer. Das ist nicht etwa hochgestapelt, sondern bitterer Ernst. Von 2300 Medizin-Studierenden haben bei einer Befragung durch die Swimsa (Swiss Medical Students Association) 34 Prozent angegeben, dass sie aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen überlegen, die Ausbildung abzubrechen. Gründe um abzubrechen, gibt es viele. Gerechtfertigte. Genauso gibt es Gründe zu bleiben. Trotz widriger Umstände, wie das Beispiel von Dr. Denis Mukwege zeigt.

Es fängt bei der Arbeitszeit an. Höchstens 50 Stunden sollen sie gemäss VSAO (Verband Schweizerischer Assistenz- und OberärztInnen Zürich) pro Woche arbeiten. In der Realität sind es mehr. Wesentlich mehr! Zum einen, weil es vorkommt, dass Assistenzärzte unter Druck gesetzt werden. Zum anderen, weil die Assistenzärzte manchmal ausstempeln, und dann die laufende Operation noch abschliessen. Lernen ist wichtig. Dafür nimmt man einiges in Kauf. Zu viel Überzeit ist jedoch nicht erlaubt. Sie wird bestraft. Also muss man andere Wege finden.

17 statt 7 PatientInnen am Tag

Im Artikel "Ändert sich nichts, fliegt uns das alles bald um die Ohren!" - Assistenzärztin packt aus auf Watson.ch wird Alina (Name geändert) porträtiert. Sie ist in der Ausbildung zu ihrem Traumberuf Ärztin. Sie erzählt, dass sie in ständigem Stress ist. Realistisch seien sieben Patienten am Tag, die man qualitativ gut behandeln könne. In der Realität habe sie auch mal 17. Das ist Fliessbandarbeit. Das Menschliche bleibt völlig auf der Strecke.

Wechseln wir in die Vergangenheit, wechseln wir in den Kongo. Ein Unruhegebiet mit jahrelangen Kriegsverhältnissen.

In seiner Biografie "Meine Stimme für das Leben" beschreibt der Arzt und Nobelpreisträger Dr. Denis Mukwege seine Zeit der Ausbildung.

"Mein Vorbild war der norwegische Arzt Osvald Orlien, der im Missionskrankenhaus von Kaziba arbeitet. Ich hatte ihn bei der Arbeit beobachtet und war fasziniert von seinem Umgang mit den Patienten. Er verband ärztliche Kompetenz mit menschlicher Wärme und einem grossen Einfühlungsvermögen. Er sah nicht nur die medizinischen, sondern auch die zwischenmenschlichen Bedürfnisse seiner Patienten. Kranke Menschen sind oft sehr verletzlich und eine mitfühlende Hand auf der Schulter, ein aufmerksamer Blick oder einige tröstende Worte können einen grossen Beitrag zu ihrer Heilung leisten."

Das ist Afrika. Andere Verhältnisse. Andere Bedingungen. Wenig Geld. Das Ziel eines Krankenhauses ist es, Leben zu erhalten. Auch Dr. Mukwege hat eine Ausbildung durchlaufen.

Er hat mit den Mitteln gearbeitet, die ihm zur Verfügung standen.

So wurde er zum Beispiel mitten in einer Nacht geweckt, weil einer Frau bei der Geburt die Gebärmutter gerissen war. Sie hatte heftige Blutungen und schwebte in Lebensgefahr. Mukwege hatte damals noch keine grosse Ahnung.

So suchte er in seinen Handbüchern und fand tatsächlich eine Anleitung, mit der er Schritt für Schritt operierte. Die Frau überlebte. Vision gelungen.

Fast keine Ruhepausen

Zurück in der Schweiz. Zurück in moderne Verhältnisse. Assistenzärzte haben oft nur 20 bis 30 Minuten Mittagspause. Ansonsten gilt Durcharbeiten. Während dieser Zeit muss man immer erreichbar sein. Bereit, aufzustehen und loszurennen. Niemand möchte unter solchen Umständen arbeiten!

Ganz allgemein werden Pausen unterschätzt. Jede Pause, jedes gedankliche Abdriften nutzt unser Hirn, um zu verarbeiten, zu verstehen und zu verknüpfen. Pausen sind darum immens wichtig, wenn wir uns Kompetenzen aneignen und sie anwenden möchten. Darauf basiert eine erfolgreiche Bildung und Persönlichkeitsentwicklung.

Es gibt hausgemachte Gründe für den sogenannten Fachkräftemangel. Doch wie können Pausen "genommen" werden? Wenig Personal lässt nun mal keinen Spielraum zu. Ob wir von der Idee, dass Gesundheitsbetriebe so gewinnbringend arbeiten müssen, wegkommen sollten?

Gesundheit ist kein Business, sie ist unser wertvollstes Gut. Da darf kein monetärer Gewinn im Vordergrund stehen.

Durch fehlende Ruhezeit können auch Ängste aufsteigen. Angst vor falschen Entscheidungen. Schlaflose Nächte tragen das ihre dazu bei. Das ist ernst zu nehmen. Geht es doch immer wieder um Leben und Tod. Und medizinische Fehler durch Übermüdung sind leider keine Seltenheit.

Lösungsansätze entstehen durch Überzeugungen

Im Kongo nehmen rebellische Angriffe keine Rücksicht auf Spitäler, berichtet Dr. Mukwege in seiner Biografie. Und doch suchen verletzte Menschen genau dort Schutz. Ihm blieb nichts anderes übrig, als Gewalt in Würde zu ertragen.

Mukwege wurde dadurch bekannt, dass er durch Soldaten missbrauchte Frauen operierte. Darum wollte er nicht, dass um sein Spital bewaffnete Soldaten standen. Um den Heilungsprozess zu fördern, braucht es aber eine Atmosphäre, die den Heilungsprozess auch unterstützt. So standen um sein Krankenhaus vor allem bewaffnete Frauen, um den Schrecken abzumildern. Für Dr. Mukwege richtet sich alles nach den Bedürfnissen seiner Patienten.

Dass die persönliche Einstellung von Verantwortlichen oder Gesundheitsbetrieben einen grossen Teil zur Motivation beiträgt, zeigt das Beispiel von Eva. Sie hat Ähnliches erlebt wie Alina. Als sie innerhalb kurzer Zeit 100 Überstunden hatte, suchte die Klinikleitung Kontakt zu ihr. Um sie zu unterstützen. Das zeigte Wirkung. Auch ihr Team unterstützte sie entsprechend und so fühlte sie sich viel sicherer.

Das sind Beispiele von Menschen, die unter schwierigen Voraussetzungen arbeiten und zeigen, dass vieles möglich ist.

26.4.2024, Andreas Räber, GPI®-Coach, Wetzikon