Wahrnehmungen wahrnehmen und einordnen können
Zwischenmenschliche Konflikte entstehen unter anderem, wenn zwei oder mehr Parteien meinen, im Recht zu sein. Was heiss diskutiert wird, Emotionen antreibt und zu Verletzungen führen kann, hat seinen eigentlichen Ursprung oft im Hintergrund. In Erziehung, in bisherigen Erfahrungen, in Wissen und in der Bedeutung, die wir einem Ereignis geben. Ein wirkungsvoller Ansatz ist, sich der inneren Ziele und der eigenen Wahrnehmung bewusst zu werden.
Martina S. arbeitet in einem Gesundheitsbetrieb. Wenn sie zur Arbeit fährt, macht sie sich im Bus meist schon Gedanken, welche Aufgaben anstehen und bis wann diese erledigt werden müssen. Martina S. arbeitet sehr gewissenhaft. Und so empfindet sie die Ideen ihres Vorgesetzten meist als störend. Ihr Vorgesetzter liebt es, laufend Neues auszuprobieren und immer wieder Abläufe zu hinterfragen und zu verändern.
Am Abend ist Martina S. meist fix und fertig. Sie ist frustriert über all die Dinge, die sie nicht erledigen konnte, weil ihr Vorgesetzter wieder alles über den Haufen geworfen hatte. Dieser wiederum wünscht sich mehr Flexibilität und Anerkennung seiner weitsichtigen Organisation.
Es ist völlig menschlich, dass wir uns bei Frust zuerst zurückziehen und das Gefühl haben, wir seien die Einzigen, die so etwas erleben. Individualität kann lähmen, im gegenseitigen Abgleich jedoch auch fördern.
Individuelles Erleben und individuelle Sicht der Dinge
Martina S. und ihr Vorgesetzter leben beide in ihrer eigenen Welt oder besser gesagt, sie sehen die Welt durch ihre eigene Brille. Kein Gedanke, kein Mensch auf dieser Welt ist gleich wie ein anderer. In der Folge haben wir auch alle eine ganz unterschiedliche Wahrnehmung.
Alles, was wir wahrnehmen, nehmen wir aus der Sicht unserer Erziehung und Lebenserfahrung wahr.
Martina S. hat in ihrer Kindheit gelernt, dass sie am meisten Aufmerksamkeit von ihren Eltern erhielt, wenn sie alles zur deren Zufriedenheit erledigte. So hat sie verinnerlicht, dass absolute Zuverlässigkeit für sie als Mensch ein Gewinn ist. Unerledigte Arbeiten schlagen ihr auf den Appetit.
Ihr Vorgesetzter hatte ähnliche Eltern. Doch er hat sich dafür entschieden, offen für Neues zu sein. Sein Ziel: sich von seinen konservativen Eltern abzugrenzen. Fühlt er sich von seinen Mitmenschen nicht ernst genommen, belohnt er sich selbst mit Süssigkeiten - sozusagen als Trostpreis.
Es sind also unterschiedliche Ziele, die die beiden heute noch prägen und immer wieder zu Spannungen führen. Dies mit entsprechenden körperlichen Auswirkungen.
Wahrheit ist subjektiv
Sowohl Martina S. wie ihr Vorgesetzter sind überzeugt, im Recht zu sein. Diese Haltung stimmt aus ihrer Sicht. Wir alle handeln, geprägt von unseren Erfahrungen und unserem aktuellen Wissen so, wie wir es für richtig halten.
Martina S. und ihr Vorgesetzter sind nur zwei Beispiele von Personen mit persönlichen und oft ganz unbewussten Zielen, welche im Miteinander zu zahlreichen Konflikten führen können.
Im zwischenmenschlichen Bereich findet nicht nur ein bewusster, sondern vielmehr auch ein unbewusster Austausch verschiedenster Signale statt.
Oft hilft ein Abgleich der eigenen Werte mit den gängigen Gesellschaftsnormen und ein Bewusstwerden der eigenen Wahrnehmung und der eigenen inneren Stimmen.
Denken und Erleben sind eng verwoben
Ob erlebt oder gedacht, in unseren Gefühlen kommt beides aufs Gleiche heraus. Wenn wir ein Buch lesen, sind wir emotional oft mittendrin im Geschehen.
Im Kopfkino gibt es keine Trennung zwischen Gedanken- und Aussenwelt.
Darum ist es wichtig, dass wir uns unserer Gedankenwelt bewusst werden, sie erkennen und entlarven.
Martina S. wird klar, dass sie noch nie mit ihrem Vorgesetzten über ihr Empfinden gesprochen hat, obwohl sie längst das Gefühl hatte, eigentlich deutlich genug gewesen zu sein. In ihren Gedanken sah sie nur die Gefahr, ihren Job und ihre Sicherheit zu verlieren. In einem darauffolgenden Gespräch mit ihrem Vorgesetzten zeigt sich, dass ihr wichtige Informationen nicht mitgeteilt wurden, was die immer wieder neuen Abläufe betraf. Im gemeinsamen Austausch haben sich viele Fragen geklärt.
Das abgebildete einfache Beispiel aus dem Berufsalltag steht für viele zwischenmenschliche Missverständnisse, die aufgrund von unterschiedlichen Wahrnehmungen oder unklarer Kommunikation entstehen. Ein offener Dialog und eine Stärkung des Selbstwerts reduzieren falsche Interpretationen.
Unsere Wahrnehmungen dürfen wir als eigene Wahrheit anerkennen. Sie sind unser individuelles Erleben. Erst in der Reflexion, im Austausch mit anderen, können sie geprüft und wenn nötig korrigiert werden.