Überforderte Notfallstationen - Massnahmen sind dringend angesagt

Wann ist ein Notfall wirklich ein Notfall? Wer bestimmt, ob es sich bei einem Gebrechen um einen Notfall handelt? Diese Entscheidung ist nicht immer einfach. Über den Druck für das Notfallpersonal, Gründe, warum die Situation auf den Stationen sehr angespannt ist und was wir selbst tun können.

«Notfall-Stationen am Anschlag.» Solche Schlagzeilen lösen keine guten Gefühle aus. «Was ist, wenn ich selbst in den Notfall muss?» stellt sich die Frage. «Wenn es mir schlecht geht und ich stundenlang warten muss?»

«Das Personal, das wir jetzt benötigen, gibt es gar nicht».

Es besteht ein klarer Fachkräftemangel auf Notfallstationen wie auch im gesamten Gesundheitswesen. Das ist eine Situation, die sich niemand wünscht und die sich nicht elegant wegdiskutieren lässt. Denn spätestens wenn unsere eigene Gesundheit massiv leidet, sind wir selbst auf schnelle und professionelle Hilfe angewiesen.

Arbeiten im Gesundheitswesen: Das Hauptziel ist, Menschen zu helfen

Kranken oder verletzten Menschen zu helfen, das ist einer der meistgenannten Gründe, warum sich Menschen für einen Beruf im Gesundheitswesen entscheiden. Doch wie in vielen anderen Berufen gibt es auch im Gesundheitswesen Grundbedingungen, die erfüllt sein müssen, damit sich der Sektor weiterentwickelt. Es braucht genügend Ausbildungsplätze, genügend Auszubildende und attraktivere Arbeitsbedingungen, damit sich kompetentes Fachpersonal bewirbt oder auf eine Weiterbildung einlässt.

Das sind zum Beispiel:

  • Faire Arbeitszeiten und Freizeit,
  • faire Entlöhnung,
  • Entwicklungsmöglichkeiten und
  • ein gut funktionierendes und kameradschaftlich agierendes Team.

Es ist nicht so, dass niemand mehr leisten möchte, wenn es einmal mehr Einsatz braucht. Doch diesem Mehreinsatz gegenüber braucht es eine gewisse Wertschätzung seitens des Arbeitgebers und der verantwortlichen Politik. Es darf nicht sein, dass Mehreinsatz zum Dauerzustand wird, wie dies derzeit vielerorts der Fall ist!

Gründe für den erhöhten Andrang in Notfallstationen

Die Zahl der Notfallpatienten hat sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Im NZZ-Artikel «Das Spital Limmattal wird von Notfall-Patienten überrannt.» beschreibt die leitende Ärztin auf der Notfallstation die Situation. Zuerst werden die Ankömmlinge nach dem fünfstufigen Emergency-Severity-Index eingestuft. «Dann betragen die Wartezeiten bis zu vier Stunden», erzählt sie im Interview mit der NZZ.

Ein hoher Index bedeutet nicht automatisch, dass wirklich ein Notfall vorliegt. Hinter «nichts Ernsthaftes» kann sich auch ein Herzinfarkt verstecken.

Nicht alle Patienten müssen lebensrettend oder dringlich behandelt werden.

Einer der Hauptgründe für den Arbeitsanstieg in den Notfallstationen seien Bagatellfälle. Doch was ist ein Bagatellfall und wer entscheidet dies?

Mögliche Ursachen für die Überlastung sind zum Beispiel:

  • Die wachsende und zunehmend älter werdende Bevölkerung
  • Jahrzehntelanger Spardruck
  • Nicht fachkundige Informationen im Web, die Menschen verunsichern und in Notaufnahmen treiben.
  • Viele Menschen haben es zudem verlernt, bei einem medizinischen Problem eine Weile abzuwarten, bis es sich vielleicht von selbst legt.

Neue Ansätze im Gesundheitswesen und was wir selbst tun können

Es braucht unbedingt neue Ansätze, damit Notfallstationen nicht weiter überrannt werden. Erstens bei Betroffenen zu Hause und zweitens in den Spitälern selbst.

Hier zwei Beispiele:

  1. Ansätze wie Telemedizin sind sehr wertvoll, um eine erste Einschätzung einer Krankheit oder eines Unfalls vorzunehmen. Das Telemedizin-Modell steht für alle gesundheitlichen Fragen bereit und ist meist rund um die Uhr telefonisch erreichbar. Das medizinische Fachpersonal macht sich sorgfältig ein genaues Bild der jeweiligen Situation und gibt den Anrufenden eine Empfehlung für das weitere Vorgehen ab. Laut einem Bericht auf medinside.ch nutzt aber nur jede zehnte Person in der Schweiz Telemedizin.
  2. Einige Spitäler verfügen über eine vorgelagerte Praxis die sogenannte «Notfallpraxis», um den Andrang überhaupt bewältigen zu können.

Es geht also auch darum, die Handlungsweisen von hilfesuchenden Menschen zu optimieren. Eine Veränderung des Verhaltens ist in Notsituationen immer schwer, braucht ein Dranblieben und enorm viel Geduld.

Das Hauptproblem: Ausfälle von medizinischem Personal

Ausfälle von Ärztinnen und Ärzten können kaum kompensiert werden. Im Gesundheitswesen ist die Situation in den letzten Jahren eskaliert. Die permanente Unterbesetzung und die hohe Personalfluktuation macht dem bestehenden Personal zu schaffen. Der Pflege muss darum unbedingt Sorge getragen werden. Auch Pflegepersonal kann krank werden. Dann entstehen Lücken, die die (noch) Gesunden tragen müssen und so noch mehr an oder über ihre Limits hinaus gehen.

Nicht immer haben wir die Wahl, ob wir in einem Job arbeiten wollen oder nicht. Doch jeder Mensch macht für sich die Rechnung, ob Aufwand und Ertrag stimmen. Die letzten Jahre haben ihren Tribut gefordert. Kein Wunder, kündigen viele Mitarbeitende ihren Job. Es ist oft ein Kündigen zum eigenen Schutz. Niemand kann auf Dauer mehr geben, als er hat.

Und von der Pflegeperson zum Patienten zu werden ist definitiv nicht das Ziel des Gesundheitswesens.

30.1.2023, Andreas Räber, GPI®-Coach, Wetzikon