Fachkräftemangel? Wo fehlt es im Gesundheitswesen wirklich?
Im Gesundheitswesen fehlt weiterhin viel Fachpersonal, etwa Ärzte. Diese Situation beschäftigt die Schweizer Politik seit Langem. Spitäler reduzieren Betten oder schliessen Abteilungen - teils mit Verweis auf den Fachkräftemangel. Helfen war früher Berufung, doch mit wachsender Gewinnorientierung wandern viele Mitarbeitende in andere Branchen ab. Eine Auslegeordnung.
"Da können Sie lange klingeln", sagte Bundesrat Jans im Hinblick auf die "Keine 10-Millionen-Schweiz! (Nachhaltigkeitsinitiative)". Seine Begründung: Wer kürzlich im Spital gewesen sei, wisse: "Ohne das Personal aus Deutschland oder Frankreich können Sie da lange klingeln." Ohne diese Menschen würde unser Gesundheitssystem zusammenbrechen. (Quelle: Tagesanzeiger.ch).
Die Milchbüechli-Rechnung "Mehr Einwohner = mehr Pflegefachkräfte und Ärzte" unter der Lupe
Klingeln. Warten. Unser Bundesrat geht offenbar davon aus, dass mehr Einwohner auch gleich mehr Mitarbeitende im Gesundheitssystem zur Folge hätte. Dem sei gegenübergestellt, dass auch die anderen Länder daran arbeiten, die Arbeitssituation in ihrem Gesundheitswesen zu verbessern. Denn auch sie haben erkannt, dass sie etwas tun müssen, um Fachkräfte zu halten oder zurückzuholen. Diese Massnahmen haben auch Einfluss auf das Schweizer Gesundheitswesen.
Mehr Einwanderer - das muss genauer betrachtet werden!
Ein- und Auswanderung unter der Lupe
"Ich kam, sah und ging." Dieses Zitat stammt aus der Rubrik "Dumme Sprüche für Gescheite". Und es steckt viel Wahrheit drin.
Im Artikel "Unsere Berufe und unser Umgang mit Herausforderungen" auf Andreas-Räber.ch verweise ich darauf, dass viele Ausländer die Schweiz bereits nach kurzer Zeit wieder verlassen, weil sie "den stark wirtschaftsorientierten Lebensstil auf die Dauer nicht aushalten".
Deshalb stelle ich hier die Frage: Wird da nicht eine langfristige Herausforderung einfach typisch schweizerisch abdelegiert und schöngeredet?
Reicht der Glaube an die Machbarkeit durch wirtschaftliche Anreize wirklich?
Nun, wir arbeiten ja auf vielen Feldern. Da ist noch die künstliche Intelligenz, die unserem Wunsch nach mehr Wirtschaftlichkeit gerecht wird.
Wären da nicht die unberechenbaren Nebenwirkungen - die leider noch nicht in der Packungsbeilage stehen.
Was macht künstliche Intelligenz mit uns?
Ein grosser Hoffnungsschimmer, den Arbeitsaufwand im Gesundheitswesen reduzieren zu können, ist die künstliche Intelligenz. Und das zu Recht! Und doch bleiben wichtige Fragen offen, wenn man die Erkenntnisse von deutschen Unis betrachtet.
Im Artikel "Ein Buch lesen? Ganz?!" auf Zeit.de wird die Situation von Unis in Deutschland geschildert. "Die neue Generation Studierender liest kaum noch längere Texte, von Büchern ganz zu schweigen. Weil sie nicht will oder nicht kann.", schreibt Zeit.de weiter. Es geht darum, dass Studierende an der Uni überfordert sind, wenn sie ein Buch lesen und sich damit auseinandersetzen sollen. Die meisten von ihnen lassen sich das Buch von ChatGPT zusammenfassen. Aber selbst lesen?!
"Der Blick für Zusammenhänge, Motive, den roten Faden fehlt. Ich stehe teilweise fassungslos vor meinen Studierenden.", wird Sonja Emmerling, die an der Uni in Regensburg als akademische Oberrätin lehrt, zitiert.
Ich halte fest: Jegliche Berufe im Gesundheitswesen sind Berufe, bei denen Durchhaltevermögen zwingend notwendig ist.
Wer Nothilfe benötigt, ist auf Personal angewiesen, das erkennen, vernetzt denken und schnell handeln kann.
Auf künstliche Intelligenz zugreifen zu können ist noch lange keine Garantie, dass auch die notwendigen praxistauglichen Kompetenzen vorhanden sind.
Vernetztes Denken deckt auf und erkennt Möglichkeiten, Schlimmeres zu verhindern.
Ärzte schaffen sich selbst bessere Arbeitsbedingungen
Im Kommentar "Der Ärztemangel spitzt sich zu. Die Politik investiert vor allem viel Geld in neue Studienplätze - aber damit macht sie es sich zu einfach" NZZ.ch werden ebenfalls Schwachstellen an der Strategie aufgezeigt. Mehr Ärzte auszubilden ist das eine, doch das ist nicht genug.
Im Grund genommen ist es einfach: Die Politik will immer mehr Kosten sparen. Die Mitarbeitenden haben inzwischen erkannt, dass Fachkräftemangel für sie ein überzeugendes Argument für ihre Forderungen ist.
Die NZZ berichtet, dass "mehr als die Hälfte der selbständigen Ärzte, die in Zürcher Praxen tätig sind - also Hausärzte und Spezialisten - in einem Pensum von 60 Prozent und weniger arbeiten." Warum tun Ärzte so etwas? Weil sie glauben, sie müssen sich selbst schützen?
Fühlen wir uns nicht gehört, suchen wir nach eigenen Gestaltungsmöglichkeiten.
Als Gründe für den Fachkräftemangel wird immer wieder die Demografie genannt. Die Babyboomer gehen in Rente und hinterlassen Lücken. Auch im Gesundheitswesen. Man kann davon ausgehen, dass die Wartezeiten länger werden - für kranke und verletzte Menschen eine schwierige Situation.
Ausbildungsoffensive für mehr Ärzte
Auf diese Weise will der Kanton Zürich weiter ausbauen. Die Zahl der Studienplätze soll von 430 auf 700 erhöht werden. Das ist ein Schritt von vielen. Denn auch die Weiterbildungsplätze müssten ausgebaut werden. "Der Verband der Assistenz- und Oberärzte stellt fest, dass die Zahl der Einstiegsstellen für Assistenzärzte im Kanton St. Gallen in den letzten 7 Jahren drastisch gesunken sei - von 218 auf 145. Schweizweit seien ähnliche Entwicklungen zu beobachten.", schreibt die NZZ weiter.
Auf der einen Seite investieren, auf der anderen die Entwicklung in der Praxis verdrängen.
Wo ist da die Gesamtstrategie? Eine mangelhafte Strategie führt zu Stückwerk. Zu "Jeder-redet-mit-und-macht-sein-Ding".
Druck? Mitfinanzierung? Mitgestalten?
Braucht es Druck auf die angehenden Ärzte, damit sie bereit sind, mehr zu arbeiten? Sollen sie ihre Ausbildung mitfinanzieren müssen? Da sind viele Fragen. Viele Versuche. Viele Massnahmen, womit das Gesundheitswesen wieder ins Lot kommen soll. Und immer wieder gibt es diese Lichtblicke, die so gerne weggeschwiegen werden.
Die Meldungen von Gesundheitsbetrieben, die es geschafft haben, anstelle von Fachkräftemangel Wartelisten von Mitarbeitenden, die in bei ihnen arbeiten wollen, zu generieren. Andere können anstelle von immenser Personalfluktuation langjährige Mitarbeiterinnen halten. Ihr Geheimrezept: Faire Anstellungsbedingungen und Mitgestaltungsmöglichkeiten.
Das kostet uns was. Klar. Vor allem am Anfang. Doch mit zufriedenen Mitarbeitern fallen auch viele Sitzungen und unnötige Diskussionen weg. Der Zeit- und vielleicht sogar der Gewinn im Heilungsprozess ist gross. Es bleibt mehr Zeit und Kraft für die Patienten.
"Ich kann etwas bewirken" ist der grösste Lohn für alle im Berufsleben stehenden Menschen. Von der Reinigungsperson über die Pflegenden bis zu hin den Ärztinnen. Ein aufgeblasenes Regelwerk wirkt wie ein Misstrauensvotum. Selbstwirksamkeit hingegen tut uns allen gut. Doch dafür braucht es Vertrauen und (Mit-)Gestaltungsmöglichkeiten.
Und so klingeln die Verantwortlichen weiter und warten immer länger auf neue Ärzte und neues Pflegepersonal ...
Auf das Wirkliche im Leben warten
Klingeln. Ja. Doch es geht nicht um die folgende Wartezeit. Pflege an Menschen hat etwas Ureigenes. Es ist eine tiefe, persönliche Begegnung. Zwischen hilfsbedürftigen und hilfegebenden Menschen. Es ist kein wirtschaftlicher Deal! Der österreichische Philosoph Martin Buber bringt es auf den Punkt:
"Alles wirkliche im Leben ist Begegnung."
Denn da, wo echte Begegnung stattfindet, lösen sich viele Probleme in Luft auf. Konstruktive Begegnung ist nicht messbar, fördert jedoch jeden Heilungsprozess.
Um das zu verstehen, muss man zuerst bedürftig sein und da liegen, wo man lieber nicht will: im Spitalbett einer überlasteten Allgemeinabteilung, weit weg von seinen Angehörigen und Freunden.
16.7.2025, Andreas Räber, Enneagramm Trainer Cp, Wetzikon