Pflegeinitiative: Umsetzung betrifft uns alle

Am 28. November stimmte das Schweizer Volk über die Pflegeinitiative ab. Die Initianten gingen von aktuell 12'000 nicht besetzten Stellen aus, Tendenz bis 2029 auf 70'000 fehlende Pflegefachkräfte steigend. Dieser Notstand wurde vom Stimmvolk wahrgenommen und die Initiative gutgeheissen.

«243 Todesfälle pro Jahr wären vermeidbar, wenn genügend Fachpersonal eingestellt würde» sagt Michael Simon. Er ist Professor für Pflegewissenschaft an der Universität Basel und forscht am Berner Inselspital im Pflegebereich. Diese Aussage stammt aus dem Beobachter Ratgeber 14/21: «Pflege - krank gespart».

Der Beobachter schreibt weiter «Wenn in einer Station der Anteil der diplomierten Pflegefachpersonen auf unter 75 bis 80 Prozent sinkt, wird es gefährlich und endet im schlimmsten Fall tödlich.»

Zurück bleiben Fragen wie «Wie konnte es zu einer solchen Situation kommen?» und «Wie kommen wir da schnellstmöglich wieder raus?" Es braucht wichtige Anpassungen im Pflegeberuf! Die Initianten der Pflegeinitiative haben Lösungsansätze ausgearbeitet.

Pflegeinitiative: Was ändert sich?

Der Berufsstand der Pflegefachkräfte soll neu in der Verfassung erwähnt werden. Zudem muss das Parlament ein Gesetz ausarbeiten, das die Forderungen der Initianten erfüllt.

Das wären umfangreiche Investitionen in die Ausbildung von hochqualifiziertem Pflegepersonal. Sowohl Auszubildende wie Ausbildungsstätten erhielten mehr Geld bei einer Weiterbildung. Laut dem Artikel «Die Pflegeinitiative auf einen Blick» (NZZ.ch, 22.10.2021) schrecken bisher viele Fachleute Gesundheit mit abgeschlossener Lehre vor einer Höherqualifikation an einer Fachschule zurück. Die Ausbildungen sind zeitaufwändig und gehen oft mit Lohneinbussen einher.

Während aktuell für gewisse Pflegeleistungen zuerst ein Arzt konsultiert werden muss, könnten Pflegefachleute solche dann direkt vornehmen.

Mehr Administration, weniger Pflege

Wer nichts mit dem Pflegeberuf zu tun hat, stellt sich darunter einen Beruf mit viel Menschenkontakt (Patienten) vor. Doch das Pflegepersonal ist oft frustriert, weil es immer mehr mit Prozessen und Administration zu tun hat als mit Patienten. Diese Aufgabenverlagerung hat in den letzten Jahren leider zugenommen. Zu sehr liegt der Fokus auf der Erfassung von Daten, die letztendlich das Ziel haben, Kosten möglichst genau aufzudecken bzw. erläutern zu können.

«Nur zwei meiner 42-köpfigen Abschlussklasse arbeiten noch im Beruf.»
(Quelle: «Pflege - krank gespart» Beobachter 14/21)

Viele haben den Pflegeberuf gewählt, weil sie Menschen mögen und nun haben sie eher einen Bürojob. Auch dies soll sich mit der Annahme der Pflegeinitiative ändern. Pflegefachkräfte sollen dank einer besseren Personaldotierung wieder mehr Zeit für die Patienten haben.

Ziel der Pflegeinitiative ist, das Stressniveau zu senken und so die Zufriedenheit zu steigern. Nur so können Personalfluktuationen und Burnout-Symptome (laut «Beobachter» 14/21 leiden 30 Prozent der Mitarbeitenden im Pflegeberufen darunter) verhindert werden. Ebenfalls zu den Forderungen der Initianten gehören bessere Löhne. Zudem sollten Familie und Beruf, durch Massnahmen wie die Förderung von Krippenplätzen, besser vereinbart werden können.

Ist und Soll - Wunsch und Realität

Soweit die Forderungen seitens der Pflegeinitianten. Wünsche sind schnell formuliert. Bei der Umsetzung sieht es nicht nur im Gesundheitswesen oft anders aus.

Neuen Wein in alte Schläuche zu füllen, war schon immer schwierig. Zuerst müssen Ängste und festgefahrene Denk- und Verhaltensweisen angegangen werden.

Der Mensch ist erwiesenermassen ein Gewohnheitstier, das sich meistens ohne einen gewissen Druck nicht aufmacht und verändert. Doch hier ist eine andere Ausgangslage. Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass in der Pflege eine akute Notlage herrscht.

Bis die Forderungen umgesetzt werden können, gilt es auch als Spitalleitung abzuklären, wo noch mehr Spielraum für neue Strukturen und Arbeitszeitmodelle ist. Mehr Spielraum anwenden ist das eine.

Spitäler sind voll mit Menschen, die denken: «Mir passiert nichts.»

Verantwortung für die Gesundheit

Ob es nun für Herrn und Frau Schweizer so etwas wie eine allgemeingültige Entspannung gibt? Pflegeinitiative angenommen = alles wieder gut? Wir Menschen sind Weltmeister in Sachen Selbstbetrug. Eine Umsetzung in diesem Ausmass braucht, wie bereits erwähnt, ihre Zeit.

Die Verantwortung für unsere persönliche Gesundheit darf nicht vollumfänglich an das Gesundheitswesen abdelegiert werden. Jede/r von uns trägt eine grosse Verantwortung für die eigene Gesundheit. «Mir passiert das nicht» ist einer der grössten menschlichen Trugschlüsse.

Noch nie waren Prävention und Fitness so wertvoll und wichtig! Das Gesundheitswesen kann Not lindern, soweit es Mittel und Personal zur Verfügung hat. Engpässe in lebenswichtigen Bereichen sind fatal für alle aktuell und zukünftig Beteiligten. Tun wir alle unser Möglichstes und lassen wir es nicht so weit kommen!

17.12.2021, Andreas Räber, GPI®-Coach, Wetzikon