Langzeitpflege Schweiz wohin? Chancen in der Zukunft wahrnehmen

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrug die durchschnittliche Lebenserwartung in der Schweiz bei Geburt weniger als 50 Jahre. Heute gehört sie zu den höchsten der Welt, für Frauen mit ca. 85 Jahren, für Männer mit ca. 80 Jahren. Dies hat Folgen, insbesondere für die Langzeitpflege. Was kommt auf uns zu und welche Chancen haben wir, Pflege umsichtig zu organisieren?

Wachstum in der Altersklasse 65+ um 52 % und bei 80+ um 88 % bis 2040. Dies ist das Ergebnis des Berichts «Bedarf an Alters- und Langzeitpflege in der Schweiz. Prognosen bis 2040» des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan). Diese Zahlen sollen wachrütteln. Denn diese Erkenntnis stellt uns vor grosse Herausforderungen.

Als Konsequenz nennt Obsan eine Steigerung des Bedarfs an Langzeitpflege um 56 %, in Pflegeheimen sogar bis zu 69 %. Obsan weist in ihrem Bericht darauf hin, dass die Ergebnisse keine Vorhersage seien, sondern eine Schätzung von Grössenordnungen unter drei Einflussfaktoren, nämlich:

1) der demographischen und

2) der epidemiologischen Entwicklung der älteren Bevölkerung und

3) von «Annahmen zur Organisation der Versorgung im Bereich der Alters- und Langzeitpflege.» (s.5).


Hier geht es zum gesamten Bericht: https://www.obsan.admin.ch/sites/default/files/2022-05/Obsan_03_2022_BERICHT.pdf


Trends in der Langzeitpflege frühzeitig erkennen

Sind wir für diese Entwicklungen gewappnet? Lähmen uns obige Zahlen oder führen sie uns in selbstkritische Überlegungen, was bei der heutigen Langzeitpflege angepasst werden muss? Die wichtigsten Punkte, die anstehen, sind:

  • Mangelndes Pflegepersonal
  • Zeitmangel beim Umsorgen von Pflege- und Betreuungsbedürftigen,
  • Übermedikation und
  • hohe Kosten für die Langzeitpflege.

Natürlich ist das Jahr 2040 noch weit weg. Die oben genannten Kriterien sind jedoch schon jetzt brandaktuell. Es ist absolut notwendig, die heutigen Pflegemodelle neu zu überdenken. Das Gesundheitspersonal läuft schon seit längerer Zeit am Limit. Da bleibt wenig Kapazität, um sich förderliche Gedanken über die Zukunft zu machen. Dem Bereich der Pflege zu Hause könnte zukünftig eine grosse Bedeutung zukommen.


Neue Wohnformen, Mehrgenerationen-Haus

Wir werden immer älter und dabei wird die Generation der Senioren immer zahlreicher. Steht es nicht mehr gut um unsere Gesundheit, sind Pflegebetriebe umgehend überlastet, wie die Corona-Pandemie gezeigt hat. Ein weiteres Phänomen ist, dass immer mehr Pflegefachkräfte kündigen. Wie kann man dem entgegentreten? Wie können die Herausforderungen in der Langzeitpflege gewinnbringend angegangen werden?

Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen. In eine Gemeinschaft eingebettet zu sein, tut uns Menschen wohl, was wiederum äusserst positive Auswirkungen auf die körperliche und psychische Gesundheit hat.

In einer Gemeinschaft wird die persönliche Entwicklung aller Mitglieder gefördert. Denn Leben auf nahem Raum bedeutet zu lernen, mit Reibungsflächen umzugehen. Eingebettet Sein kann so manche Krankheit verhindern und ist somit die beste Prävention. Zudem kann leichte Pflege durch Nachbarschaftsdienste übernommen werden.

Eine Möglichkeit kann zum Beispiel das Leben in einem Mehrgenerationen-Haus wie «Die-Giesserei» in Oberwinterthur sein. Die Giesserei verfügt über

  • 140 Wohnungen mit 1½ bis 9 Zimmern,
  • 11 Joker-Zimmer (davon 3 Gästezimmer) und 14
  • Gewerbebetriebe,
  • darunter ein Restaurant,
  • eine Filiale der Winterthurer Bibliotheken,
  • eine Kunstgalerie und
  • ein Musikzentrum.

Doch damit nicht genug. Zu den 8 gemeinschaftlich genutzten Räumen gehören

  • ein grosser Saal für interne und öffentliche Veranstaltungen,
  • 2 Gemeinschaftsräume,
  • ein Musikübungsraum und
  • 3 Werkstätten.

In der Giesserei arbeiten laut Webseite rund 65 Voll- oder Teilzeitbeschäftigte.

240 Erwachsene und über 100 Kinder und Jugendliche aus mehr als zwei Dutzend Herkunftsländern mit ungefähr gleich vielen Muttersprachen leben in der Giesserei. Ein solches Projekt fördert die Verantwortung im Umgang miteinander. Zur Selbstverwaltung gehört zum Beispiel die Pflicht, sich im Umfang von 30 Stunden pro Jahr an

  • den Arbeiten für Gebäudeunterhalt und Reinigung,
  • in der Gartenpflege,
  • in der Administration oder
  • für die Organisation von kulturellen und sozialen Anlässen zu beteiligen.
  • Das Projekt wurde von der Age-Stiftung unterstützt, die Wohn- und Betreuungsangebote fürs Älterwerden in der deutschsprachigen Schweiz mit finanziellen Beiträgen fördert.


    Langzeitpflege zu Hause: Voraussetzungen, Tipps, neue Möglichkeiten

    Ein positiver Effekt eines Mehrgenerationenhauses oder auch allgemein ist, dass ein Leben mit Pflegebedürftigkeit zu Hause ermöglicht wird.

    Spitex, home instead oder oft auch Privatangebote bieten entsprechende Möglichkeiten für professionelle Pflege zu Hause an.

    Insbesondere mögliche Komplikationen sollten im Vorfeld mit dem Pflegefachpersonal vorausschauend geklärt und ein Notfallplan aufgestellt werden.

    Des Weiteren empfiehlt es sich für pflegende Privatpersonen, sich bereits im Vorfeld mit entsprechender Literatur oder Kursen weiterzubilden. Zum Beispiel mit einem SRK-Kurs vom Schweizerischen Roten Kreuz (Zertifikat Pflegehelfer/-in - Kurse für Pflegehelfer SRK - Grundpflege) oder auch mit einem Coaching-Studiengang, in dem die eigene Persönlichkeit reflektiert und besonders das Thema Abgrenzung besprochen wird.

    Die Pflege von Familienangehörigen fordert und darf nicht zur körperlichen, psychischen oder finanziellen Überforderung der Pflegenden führen.

    Es gilt, die Situation und den Gesundheitszustand der Patienten im Blickfeld zu behalten, um diesen Moment nicht zu verpassen. Das erfordert eine gute Selbst- und Fremdwahrnehmung.

    Tipp:

    Wird ein Patient/eine Patientin durch Angehörige gepflegt, sollte bereits im Vorfeld ein entsprechendes Entgelt vereinbart werden. Ebenfalls wichtig sind eine offene Kommunikation und ein entsprechendes Informationskonzept (was wird wann mit wem kommuniziert).

    All diese Massnahmen helfen, unser Gesundheitssystem zu entlasten.

    Für Patient/innen der Langzeitpflege kann die Möglichkeit, möglichst lange zu Hause zu leben, ein wichtiger Motivationsfaktor sein, der auf keinen Fall unterschätzt werden darf und bei allen Massnahmen berücksichtigt werden sollte.

    17.2.2024, Andreas Räber, GPI®-Coach, Wetzikon